Interview 1 with Prof. Dirk Helbing

Fragen und Antworten zur «inappropriate slide» Fragen: Jonas Roth, NZZ, Ressort Inland Antworten: Prof. Dirk Helbing

by Marcin Korecki


• Die Debatte in den sozialen Medien dreht sich um eine aus dem Zusammenhang gerissene Folie, die Sie in ihrer Präsentation benutzt haben. Können Sie kurz erklären, was Sie mit dieser Folie aussagen wollten und in welchem Kontext sie verwendet wurde? Konkret: In welchem Kontext verwendeten sie das Beispiel der «Chinesen»?

Es ging um Menschenrechte. Man musste die Folie sorgfältig lesen und interpretieren, um die beabsichtige Aussage zu verstehen. Sie wurde im Kontext der Notwendigkeit gezeigt, die Menschenwürde im digitalen Zeitalter zu schützen, sowie der vom deutschen Bundespräsidenten Steinmeier geforderten „Demokratisierung des Digitalen“. Sie warnte vor der Gefahr unangemessener Verallgemeinerungen von Software- und Big Data-Anwendungen. Konkret sollte sie zum Nachdenken darüber anregen, dass eine beispielsweise für Logistiksysteme entwickelte Software nicht ohne Weiteres auf das Management von Tieren oder die Governance von Menschen übertragen werden darf. Als Beispiel wurde das Chinesische Citizen Score System genannt, auch bekannt als Social Credit Score. Am Ende bestünde womöglich die Gefahr, dass wir alle in einem technologischen Totalitarismus enden könnten, vor dem übrigens auch der ehemalige EU-Präsident Martin Schulz eindringlich warnte. Die Studierenden sollten zu dem Schluss kommen, dass man Menschen nicht wie Tiere, Dinge, oder Daten behandeln darf, auch wenn das technisch vielleicht möglich sei, sonst drohe am Ende so etwas wie eine totalitäre „Animal Farm“ Society.

• Was ist im Anschluss an die Vorlesung passiert? Welche Reaktionen haben Sie erhalten? Wie haben Sie die vergangenen Tage und Wochen seit der Vorlesung erlebt?

Obwohl die Folie ausdrücklich nur für den Vorlesungsgebrauch bestimmt war, wurde sie aus dem Zusammenhang gerissen und verbreitet. Ich wurde am nächsten Tag von der Respekt-Stelle kontaktiert. Die Folie, für sich alleine genommen, könne missverstanden und als „racially insensitive“ empfunden werden. Der erste Social Media Post erfolgte scheinbar kurz danach. Es entbrannte ein Social Media Sturm, der mich als Rassisten und Faschisten beschimpfte. Ich sollte bekennen, dass ich Rassist sei und mich öffentlich dafür entschuldigen. Es gab zum Glück auch Posts, die mich unterstützten und zahlreiche Emails von chinesischen Absendern, die sich verständnisvoll zeigten, aber sich aus Angst vor Repressionen nicht öffentlich äussern wollten.

• Bei der aktuellen Debatte handelt es sich offensichtlich um eine zumindest teilweise konzertierte Aktion in den sozialen Medien, um Druck auf Sie auszuüben. Haben Sie in ihrer Karriere bereits ähnliche Vorfälle erlebt? Wie stehen Sie zu diesem «Shitstorm»?

Es gibt schon seit Jahren Versuche, mich zu diskreditieren, weil ich öffentlich zu Fragen von Demokratie, Menschenrechten und Ethik im digitalen Zeitalter Stellung beziehe. Es wird sogar Druck auf Unbeteiligte ausgeübt, die meine Meinungen teilen. Dies betrifft aktuelle und ehemalige Mitarbeitende, Kolleginnen und Kollegen, und Institutionen, zu denen ich Verbindungen habe. Der vorliegende Fall stellt sich aber anders dar. Ich verstehe das Anliegen der Initiantinnen und Initianten sowie der Unterzeichnenden, ein diskriminierungsfreies Studienumfeld zu schaffen. Das unterstütze ich. Doch ich hätte mir einen konstruktiven Dialog gewünscht statt Eskalation.

• Auf einer persönlichen ETH-Website (hier) findet sich eine Chronologie der Ereignisse seit der Vorlesung. Ist diese Zusammenstellung aus Ihrer Sicht korrekt?

Die Webseite ist überwiegend sachlich gehalten und trug am Ende zur Lösung des Konfliktes bei. Dafür bin ich dankbar. Dennoch ist anzumerken, dass sich weder in meinem Kurs noch – soweit mir bekannt – danach meine Studierenden kritisch zu der umstrittenen Folie äusserten und mich persönlich um eine Erläuterung von Inhalt und Hintergründen oder um eine Stellungnahme, Richtigstellung oder Entschuldigung gebeten haben. Es wäre besser gewesen, das direkte Gespräch zu suchen. Dafür ist das akademische Umfeld schliesslich da.

• In der oben erwähnten Website ist ein Brief der ETH-Schulleitung abgebildet. Darin heisst es, Sie würden das Missverständnis in einer Vorlesung mit den Studierenden diskutieren. Wie ist diese Diskussion abgelaufen?

Ich war sehr froh über den Meinungsaustausch. Er verlief sehr konstruktiv, wie ich es von der ETH gewöhnt bin. Ich denke, wir haben alle etwas dazu gelernt. Insbesondere konnte ich hoffentlich deutlich machen, dass ich in der Vergangenheit oft und gerne mit chinesischen Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet habe, und dass ich das auch in Zukunft nicht missen möchte. Aus diesen Kooperationen sind wichtige Erkenntnisse hervorgegangen, die weltweit Respekt geniessen. Ich hatte auch die Gelegenheit, mit der chinesischen Kultur und Geschichte in Kontakt zu kommen und schätze diese Erfahrungen sehr. Aus meiner Sicht lassen sich die Probleme unserer Welt nur durch die Zusammenarbeit diverser Kulturen lösen.

• Sie haben sich öffentlich für die verwendete Folie entschuldigt und diese angepasst. Weshalb sind Sie zum Schluss gekommen, dass eine Entschuldigung angebracht ist?

Insbesondere ohne den Kontext wurde die Folie offenbar von Vielen als unsensibel und speziell als „racially insensitive“ empfunden, weshalb zahlreiche Menschen verstört und verärgert waren. Das verstehe ich jetzt. Das tut mir leid und ich habe mich dafür entschuldigt. Es war nicht meine Absicht, die Gefühle anderer zu verletzen, das sollte nicht passieren.

• Welche Schlüsse ziehen Sie für sich aus dem Vorfall? Fühlen Sie sich in ihrer Lehrtätigkeit unter Druck gesetzt?

Es ist Vertrauen verloren gegangen, dass der Wille eines konstruktiven Miteinanders immer vorausgesetzt werden kann. Ich habe begonnen, aus den Foliensätzen kontroverse Inhalte und solche, auf die Studierende vielleicht sensibel reagieren könnten, zu entfernen, auch wenn Inhalte, die „thought provoking“ sind, von vielen Studierenden geschätzt werden.

• Sie haben auf Twitter zwei Morddrohungen geteilt, die sie erhalten haben. Nehmen Sie diese Drohungen ernst?

Es wäre unvorsichtig, sie komplett zu ignorieren. Die unglaublich heftigen Reaktionen auf den Sozialen Medien haben gezeigt, dass die Aufmerksamkeitsökonomie und die ihr zugrunde liegenden Technologien wie Profiling, Scoring und Targeting gefährlich sein können. Ich denke, die Sicherheit von Menschen, die sich für den Schutz der fundamentalen Grundprinzipien unserer Gesellschaft einsetzen, muss gewährleistet sein.







 

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